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Was verbindet Marktforschung mit Radiologie? Herkömmliche Verfahren zur Untersuchung der Reizverarbeitung im Gehirn des Konsumenten stoßen an ihre Grenzen, da die Ergebnisse dieser Forschungsmethoden einen subjektiven Spielraum zur Interpretation der gewonnenen Daten lassen.
Modernste Technologien wie funktionelle Magnetresonanztomografie ermöglichen es, unterbewusstes Kaufverhalten zu analysieren – ein nicht unumstrittener neuer Aspekt des Marketings hat sich entwickelt.
Trotz genauer Marktforschung müssen jährlich rund 80 Prozent aller neu entwickelten Produkte nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. So wichtig und richtig die heutigen Erkenntnisse der Psychologie und der empirischen Marktforschung sind, sie haben einen grundlegenden Mangel: Sie entstehen durch Beobachtung des Kaufverhaltens oder durch Befragung. Was dabei tatsächlich im Kopf des Kunden vorgeht, welche Motivations- und Emotionssysteme dabei tatsächlich im Gehirn
ablaufen und wie diese das Kaufverhalten steuern, bleibt diesen Forschungsrichtungen aber weitgehend verborgen.
Am derzeit in Wien stattfindenden Europäischen Radiologenkongress (ECR), bei dem rund 17.000 Experten aus über 100 Ländern tagen, werden neue Erkenntnisse und Entwicklungen auf dem Gebiet der Neuroradiologie vorgestellt und diskutiert.
So wurden am Kongress neue Studien an MRT-Scannern mit einer Feldstärke von 7.0 Tesla (T) vorgestellt. „Derzeitiger medizinischer Standard in unseren Spitälern sind 1,5 T Scanner und in zunehmendem Maße 3.0 T Scanner,“ erklärt Dr. Thomas Meindl, Institut für Klinische Radiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München, und fügt hinzu, dass die Signalausbeute theoretisch linear mit der Feldstärke ansteigt und dass funktionelle Untersuchungen mit einer höheren Feldstärke die aktivierten Areale deutlich besser zur Darstellung brachten und zusätzlich auch neue Aktivitätsareale gefunden werden konnten, welche sich mit 1,5 T nicht darstellen ließen.
Mit noch höherer Feldstärke sollte daher ein nochmaliger Zuwachs an Aktivierungen verbunden sein.
So könnten kleine und kleinste anatomische Strukturen, welche an höheren kognitiven Leistungen, zu denen Entscheidungen im Markenbereich zweifelsohne gehören, beteiligt sind nachgewiesen werden. In den nächsten Jahren ist der Einsatz von Scannern mit einer Feldstärke von 7.0 T und mehr jedoch sicherlich noch einzelnen Forschungszentren vorbehalten. Es gilt noch viele v.a. technische Probleme zu lösen, bis diese Scanner zum breiteren Einsatz kommen können.
Neuromarketing ist eine interdisziplinäre Verknüpfung der Radiologie, Neurologie, Neuropsychologie mit der Marktforschung. Das Ziel des Neuromarketings ist es, ein besseres Verständnis der Zustände und Prozesse der Affekte und Kognitionen im menschlichen Gehirn und dadurch eine Ableitung über die wahren Bedürfnisse und Wünsche von Konsumenten zu erhalten.
Ethische Aspekte müssen dabei selbstverständlich berücksichtigt werden. Durch die in den 90er Jahren entwickelte funktionelle Magnetresonanztomografie (fMR, fMRT) konnte die entscheidende Grundlage für diese neue Entwicklung geschaffen werden. Sie ist daher momentan die im Rahmen der marketingspezifischen Gehirnforschung am meisten beachtete Methode.
„Neuromarketing ist sicherlich ein Hype; dies liegt sicher in der Tatsache begründet, dass Firmen viel Geld für die Vermarktung eines Produkts ausgeben, ohne zu wissen ob die Werbung wirkt. Man erhofft sich objektive Informationen über die Wirkung der Werbung zu erhalten, unterstrich Dr. Meindl.
Die funktionelle Magnetresonanztomografie ist ein bildgebendes Verfahren zur Darstellung des Gehirns und seiner Funktion. Es besticht einerseits durch eine hohe räumliche Auflösung und andererseits durch die Möglichkeit aktive Hirnstrukturen zu erkennen. Die Methodik kommt ursprünglich aus der Medizin und dient primär der Darstellung pathologischer, krankhafter Prozesse des Gehirns.
Relativ früh wurde das Potential dieser Methode von der Psychologie erkannt und ergänzt die klassischen neuropsychologischen Verfahren der Probandentestung mittels Fragebögen zum Verständnis der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns. Die Funktion vieler verschiedener kleiner und kleinster anatomischer Strukturen des Gehirns und ihre Interaktion während komplexer Denkprozesse konnten bisher identifiziert werden.
Im Unterschied zur herkömmlichen (strukturellen) Magnetresonanztomografie kann hier der Sauerstoffverbrauch von Gehirnarealen dargestellt werden, wodurch Rückschlüsse auf die Aktivität gezogen werden können. Mit Hilfe der hoch auflösenden Bilder können auch gedankliche Prozesse – also Wahrnehmungen und Gefühle – visuell dargestellt werden.
In dieser spezifischen Anwendung können bewusste oder unbewusste Kaufmotivation sowie Wirkungsweisen von Werbebotschaften bildlich festgehalten werden und ermöglichen Rückschlüsse auf die für das menschliche Gehirn ausschlaggebenden Reize.
Das Ziel des Neuromarketings ist somit ein besseres Verständnis von Affektabläufen und Prozessen im menschlichen Gehirn, die bislang unsichtbaren Zustände und Prozesse, welche die Entscheidung eines potenziellen Konsumenten für oder gegen ein Produkt steuern, zu erforschen und sie in Beziehung zu sichtbaren Verhalten zu setzen.
So löst die Darstellung von Produkten, mit denen sich ein Konsument stark identifiziert, ein anderes Aktivitätsmuster aus als Marken, die weniger im Bewusstsein eines Konsumenten verankert sind. Es konnte nachgewiesen werden, dass starke Produktmarken Bereiche aktivieren, die eine zentrale Rolle beim positiven emotionalen Bewerten von Handlungen spielen.
Je stärker ein Konsument emotional aktiviert wird, desto höher ist seine Aufnahmebereitschaft und desto besser seine Informationsverarbeitung. Der entscheidende Faktor ist, dass auf Emotionen basierende Handlungen „aus dem Bauch heraus“ stattfinden und im Nachhinein oft nicht logisch erklärt werden können.
Mit der Weiterentwicklung dieser Technologie könnte der Weg der Produkte von der Kommunikation über das Einkaufserlebnis bis in den Besitz des Konsumenten nachgezeichnet werden. Damit kann man zwar nichts an den Bedürfnissen des einzelnen Konsumenten ändern, wohl aber verstehen wie diese im Gehirn repräsentiert sind und wie Kaufentscheidungen entstehen.
Der Europäische Radiologenkongress (European Congress of Radiology, ECR) ist der jährlich stattfindende Kongress der Europäischen Gesellschaft für Radiologie (European Society of Radiology, ESR). Mit über 17,000 Teilnehmern aus mehr als 100 Ländern und rund 1,700 wissenschaftlichen Vorträgen ist der ECR die größte Radiologieveranstaltung in Europa.
-apa, ots -
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