Neben den USA steht möglicherweise auch in Deutschland ein Heparin-Skandal bevor.
Nach dem Auftreten von zum Teil schwerwiegenden allergischen Schockreaktionen musste die Firma Rotexmedica aus Trittau in Schleswig-Holstein sämtliche Chargen von Heparin-Rotexmedica vom Markt zurückrufen.
Eine entsprechende Verfügung erging nach Absprache mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) durch das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein. Im Rote-Hand-Brief von Mitte der Woche ist noch von bestimmten Chargen die Rede. Nach der aktuellen Pressemitteilung des BfArM umfasst der sofortige Rückruf dagegen sämtliche Chargen von Heparin-Rotexmedica.
Die vorsorgliche Maßnahme gelte aber nicht für sogenannte fraktionierte Heparine, die zur Prävention von Thromboembolien angewendet werden. An die Patienten, die heparinhaltige Arzneimittel zur Injektion anwenden, erfolgt der Rat, die Behandlung keinesfalls ohne vorherigen Rat durch einen Arzt zu beenden.
Auslöser für die Maßnahme waren zunächst drei beim BfArM eingegangene Berichte über Verdachtsfälle von allergischen Schockreaktionen, die auf einen Qualitätsmangel des Produktes hindeuteten, teilt das BfArM mit. Parallel dazu erhielt die Landesbehörde von einem Verbund verschiedener Dialysezentren die Information, dass möglicherweise bis zu 80 weitere Fälle von allergischen Reaktionen mit diesem zur Injektion bestimmten Produkt aufgetreten seien.
In den USA ist es in den letzten Wochen zu mehr als 700 ähnlichen Zwischenfällen gekommen. Auch sie betrafen vorwiegend Patienten auf Dialysestationen, und wie in Deutschland kam es auch zu allergischen Schockreaktionen. Damit stellt sich den Behörden die Frage nach einem Zusammenhang. In den USA verdichten sich die Hinweise, dass die Zwischenfälle die Folge von Kontaminationen sind, die möglicherweise bei den Herstellern des Rohheparins entstanden sind.
Die US-Firma Baxter, die in den USA etwa 50 Prozent des Marktes beliefert (in Deutschland aber keine Heparine vertreibt), hat den Rohstoff von einer chinesischen Tochterfirma in Changzhou bei Shanghai des US-Herstellers Scientific Protein Laboratories erhalten. Die Tochterfirma wurde von Großhändlern beliefert, die wiederum das Ausgangsmaterial für die Heparinherstellung – Schweinedärme – bei Farmern bezogen hat.
Die FDA musste in den vergangenen Wochen einräumen, dass sie die Handelswege in China teilweise nicht nachvollziehen kann. Außerdem hatte sie die Firma in Changzhou nicht inspiziert, was nach dem amerikanischen Arzneimittelgesetz eigentlich vorgesehen ist. Europäische Aufsichtsbehörden sollen noch seltener als amerikanische Inspektionen in China durchführen, beklagte jüngst ein Chemieverband. Auch sollen die Möglichkeiten, nach Entdeckung von Mängeln auf eine Schließung von Produktionen zu drängen, geringer sein.
Noch ist unklar, wo die Verunreinigungen in das Heparin gelangten. Scientific Protein Laboratories hat gegenüber der US-Presse erklärt, dass die Zwischenfälle in Deutschland gegen eine Spur nach China sprächen. Das muss aber nicht zutreffen. China ist der weltweit größte Hersteller von Rohheparinen, und nach Angaben der dortigen Außenhandelskammer geht der größte Teil nach Deutschland (13 Tonnen pro Jahr). Nach Frankreich werden 11 Tonnen und in die USA zehn Tonnen exportiert (Angaben nach New York Times).
Die Firma Rotexmedica, die zur französischen Groupe Panpharma gehört, hat bisher nicht bekannt gegeben, ob sie das Rohheparin aus China bezog. Ein Sprecher des BfArM erklärte hingegen die Wirkstoffe seien aus China geliefert und möglicherweise auch in Österreich und Frankreich auf den Markt gebracht worden.
US-Forschern ist es in den letzten Tagen gelungen, ein Nachweisverfahren für die Verunreinigungen zu entwickeln. Sie können mittels kapillarer Elektrophorese und 1H-NMR Spektroskopie von den Heparinen unterschieden werden. Deutsche und amerikanische Behörden stehen bereits in Kontakt.
Die FDA hat angeordnet, dass auch andere (bisher nicht betroffene) Hersteller ihre Chargen testen müssen. Dies dürfte auch in Deutschland bevorstehen. Die Ermittlung der Ursache ist bei den Behörden in Deutschland und in den USA noch nicht abgeschlossen, teilte das BfArM mit. © rme/aerzteblatt.de
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