Donnerstag, 30. April 2009

KVen nicht mehr auf Augenhöhe mit den Kassen

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, hat die Parteien aufgefordert, sich klar zum Thema der zukünftigen Ausgestaltung der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland zu positionieren.

„Wenn der Gesetzgeber nicht die Gestaltungsspielräume für das System der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erweitert und eine klare, nachvollziehbare und sinnvolle Wettbewerbsordnung etabliert, kollabiert das KV-System“, warnte Köhler bei der Fachveranstaltung „KBV-Kontrovers“ am Mittwoch in Berlin.

Der Gesetzgeber habe den historischen Kompromiss von 1955 einseitig gekündigt. Damals hätten die KVen den ungeteilten Sicherstellungsauftrag und das Monopol zur Organisation der ambulanten ärztlichen Versorgung übertragen bekommen. Im Gegenzug würden Vertragsärzte seither auf ihr Streikrecht verzichten und verpflichteten sich, gesetzlich Krankenversicherte zu den zwischen KVen und Krankenkassen ausgehandelten Konditionen zu behandeln.

„Das setzt eine starke Organisation voraus, die auf gleicher Augenhöhe mit den Kassen verhandeln kann. Genau das ist aber nicht mehr der Fall“, kritisierte der KBV-Vorsitzende. Das damals zugesicherte Monopol sei mit der Neufassung des Paragraf 73 b SGB V zur hausarztzentrierten Versorgung endgültig zerstört worden. „Der Sicherstellungsauftrag ist geteilt. In selektiven Verträgen geht er auf die jeweilige Krankenkasse über“, so Köhler.

„Der Sicherstellungsauftrag kann nur funktionieren, wenn er in einer Hand liegt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der KBV, Carl-Heinz Müller. Genau das sei aber immer weniger der Fall. Das habe vor allem Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und Versorgungsgerechtigkeit. „Denn mit selektiven Verträgen ist automatisch eine Differenzierung der Leistungserbringung verbunden, die bestimmte Patienten oder Versicherte bestimmter Krankenkassen entweder bevorzugt oder benachteiligt“, so Müller.

„Mehr Wettbewerb in der Vertragspolitik ist sinnvoll“, sagte hingegen der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs. Die Einschränkung des „zwanghaft kollektiven Vertragsrechts“ passe in die Zeit. Kollektive Verträge und Individualverträge könnten sich jedoch ergänzen.

Kritik äußerte Jacobs am Deutschen Hausärzteverband und seinen Landesverbänden. „Die neuen Instrumente der Macht scheinen die Hausärzteverbände weniger zur Verbesserung der Patientenversorgung nutzen zu wollen als zur Verbesserung ihrer Einkommenssituation“, bemängelte Jacobs.

Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass es bei der Versorgungsgerechtigkeit – nicht zuletzt aufgrund des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) – Probleme gibt. „Es gibt die Schwierigkeit, dass einige Patienten mit Krankheiten, die nicht im Morbi-RSA aufgeführt werden, schlechter behandelt werden. Um das zu verhindern, müssen wir eine nachvollziehbare verlässliche Versorgungskette schaffen“, betonte KBV-Vorstand Müller.

Unerlässlich sei auch die korrekte Diagnosecodierung durch die Ärzte. Verschiedene Krankenkassen würden versuchen, Ärzte bei der Diagnosecodierung zu beeinflussen, um bei der Umverteilung der Gelder über den Morbi-RSA zu profitieren, berichtete Rainer Daubenbüchel, ehemaliger Präsident des Bundesversicherungsamtes.

Auch der bayerische Hausärzteverband habe ganz offen einen Zusammenhang zwischen finanziellen Regelungen in einem entsprechenden Hausärztevertrag und der Frage der Codierung hergestellt. „Vor der Einführung des Morbi-RSA wurden wir vor dieser Gefahr gewarnt“, räumte Daubenbüchel ein. „Vielleicht waren wir zu naiv. Aber mit einem solchen Maß krimineller Intensität habe ich nicht gerechnet.“

Als essenzielle Voraussetzung für den Wettbewerb unter den Kassen bezeichnete Rolf Rosenbrock, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, den Morbi-RSA. „Er darf aber kein Anreiz zur Versichertenselektion sein“, so Rosenbrock.

© SR/aerzteblatt.de

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